Hermann Broch und die Religion: Zur Dialogik von jüdischem und christlichem Denken
Im dichterischen, philosophischen, politischen und massenpsychologischen Werk Hermann Brochs spielen Überlegungen zur Religion eine zentrale Rolle. In seinem ersten literarischen Werk, der Romantrilogie Die Schlafwandler, ist als antithetischer Intertext Grünewalds Isenheimer Altar erkennbar, und im abschließenden Essay Zerfall der Werte werden protestantisches und katholisches Christentum in ihrer Beziehung zum Judentum profiliert, um den Religionsverlust als Ursache der Kulturkrise erkennbar zu machen. Die religiöse Umbruchsituation, die Broch im Europa seiner Gegenwart durchlebt, wird auch in der Verzauberung und im Tod des Vergil thematisiert: in der Verzauberung im Hinblick auf die Neuverheidung im Nationalsozialismus, im Vergil-Roman als Parallele zur Religionskrise der Augusteischen Zeit. Die Überlegungen zu den Menschenrechten sind bei Broch geprägt durch die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit. Das wird deutlich in den politischen Essays von der Völkerbund-Resolution bis zu dem Versuch einer Neubegründung der Human Rights in der Massenwahntheorie. Brochs Sensibilisierung für die religiösen Entwicklungen reicht in die Jahre seines Studiums und der ersten literarischen und essayistischen Publikationen zwischen 1912 und 1928 in Wien zurück. Diese Phase der persönlichen Wende vom Judentum zum Christentum, die dann im Exil in umgekehrter Richtung verlief, will ich am IFK in Wien erforschen.
Paul Michael Lützeler ist Rosa May Distinguished University Professor in the Humanities an der Washington University in St. Louis sowie Direktor des dortigen Max Kade Center for Contemporary German Literature. Er war Vizepräsident der IV, Präsident des Internationalen Arbeitskreises Hermann Broch und Gründer und Herausgeber des germanistischen Jahrbuchs Gegenwartsliteratur. Die Arbeitsgebiete sind der literarische Europa-Diskurs, Exilliteratur mit dem Schwerpunkt Hermann Broch und die deutschsprachige Gegenwartsliteratur.
Monografien/Monographs: Hermann Broch. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1985 (übersetzt ins Englische, Spanische und Japanische; auch als E-Book); Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1992; Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger Gegenwartsroman, München 2009; Editionen/Editions: Hermann Broch, Kommentierte Werkausgabe, 17 Bände, Frankfurt/M. 1974–1981 (auch als E-Book); Hoffnung Europa. Deutsche Essays von Novalis bis Enzensberger, Frankfurt/M. 1994; gem. mit Jennifer M.Kapczyinski, Die Ethik der Literatur. Deutsche Autoren der Gegenwart, Göttingen 2011.
Zwischen 1946 und 1949 tauschten Broch und Arendt Essays aus, die inspiriert worden waren durch die UNO-Charta und die „Universal Declaration of Human Rights“. Ihre Kritik wies in entgegengesetzte Richtungen: Broch setzte auf Internationalisierung und Einklagbarkeit, Arendt dagegen wies die Universalisierung zurück und erkannte nur Rechte an, die in Verfassungen von Nationalstaaten garantiert wurden.
Victor Hugo musste wegen der Gegnerschaft zu Napoleon III. Frankreich verlassen. Im Exil wurde er zum prominentesten Sprecher der europäischen Friedensbewegung. Bertha von Suttners Roman »Die Waffen nieder!« sowie ihre »Memoiren« zeigen, wie stark sie Hugo als Vorbild verstand, als sie nach dessen Tod den Friedensdiskurs prägte.