12 November 2018
  • Lecture
IFK

„TUPI OR NOT TUPI“ – ÜBERSETZUNGEN DES KANNIBALISMUS

18:15

Einverleiben, Verschlingen, Überleben – im brasilianischen Modernismus zelebriert der wilde Kannibale, Anthropophage, Menschenfresser das Verschlingen europäischer Kunst und Literatur, um sie in ein „Eigenes“ zu transformieren.

 

100 Jahre nach der Unabhängigkeit von Portugal steht die im brasilianischen Modernismus der 1920er-Jahre proklamierte Avantgarde-Bewegung der Anthropophagie vornehmlich im Dienste der Konstruktion einer eigenen sprachlich-kulturellen Identität. Die metaphorische Verschlingung europäischer Kulturformen und ihre Transformation in ein genuin „Brasilianisches“ werden als Möglichkeit des Widerstands gegen die nach wie vor wirksame Vorherrschaft Europas in Kunst, Kultur und Literatur zelebriert. Kultureller Kannibalismus als Akt der Einverleibung des Anderen und dessen Wiederauferstehung in anderer Form lässt sich als Akt des Übersetzens denken: Die Verschlingung des Anderen wird zur epistemologischen Metapher für die Übersetzung von Kulturen. Als radikale, viszerale Form transkultureller Übersetzung unterminiert der kulturelle Kannibalismus in einem triumphalen Gestus die traditionelle Hierarchie zwischen Original und Übersetzung.

 

 

Melanie P. Strasser studierte Philosophie und Übersetzungswissenschaft an der Universität Wien sowie in Portugal und Brasilien. Sie ist seit 2015 Universitätsassistentin am Institut für Roma­nistik der Universität Wien. Das Thema ihrer Dissertation sind die Beziehungen zwischen der anthropophagen Einverleibungsmetaphorik in Brasilien und dem Prozess des Übersetzens. Sie ist derzeit IFK_Junior Fellow.

 

Publikationen (u. a.): „Der König von Babel: Kannibalismus und Übersetzen in Brasilien“, in: gem. mit Kathrin Sartingen (Hg.), Arena der Stimmen. Intermedialität und Intertextualität in Literatur und Film aus Lateinamerika, Lusoafrika und Portugal, Frankfurt/M. 2018; gem. mit Alice Leal, „Anthropophagy“, in: The Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 2018; „Todo passado merece ser devorado’ – Algumas reflexões sobre a antropofagia da tradução“, in: Susana Kampff-Lages u. a. (Hg.), A tradução em movimento. Figurações do traduzir entre culturas de Língua Portuguesa e culturas de Língua Alemã (=Wiener Iberoromanistische Studien, Band 10), Frankfurt/M. 2017; „Sobre as ruínas de Babel – A construção da tradução em Borges“, in: Scientia Traductionis, n. 13, 08/2013.

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