Alltag in Jablonec 1994. Vom »Neusiedlergrenzland« zur Euroregion

Jablonec, eine Kleinstadt in Nordböhmen, war nicht zufällig Gegenstand und Veranstaltungsort der sozialanthropologischen Sommerschule, zu der junge Sozialwissenschaftler aus sieben Ländern - Tschechen, Deutsche, Slowaken und Österreicher, ein Russe, eine Amerikanerin und eine Französin - zusammengekommen waren. Die bewegte Geschichte der Stadt spiegelt die politischen, ökonomischen und nationalen Konflikte wider, die in diesem Jahrhundert Europa zerrissen haben und die für uns zum Thema wurden. 


Wer 1910 als Österreicher in der sudetendeutschen Stadt Gablonz geboren wurde und das fast unwahrscheinliche Glück hatte, sein ganzes Leben lang in der Stadt wohnen zu bleiben, wohnte 1994 in der tschechischen Stadt Jablonec und hatte viermal die Staatsbürgerschaft gewechselt: 1918 wurde er Tschechoslowake, 1938 Deutscher, 1946 konnte er, wenn er 1938 Deutscher gewesen war, nur im Ausnahmefall wieder Tschechoslowake werden, und 1992 wurde er Tscheche.  Vor dem Hintergrund dieser Geschichte wollten wir, fünf Jahre nach der tschechischen »samtenen« Revolution, eine Momentaufnahme vom Leben in der Stadt Jablonec machen. In Gruppen von jeweils zwei bis drei Forschern, von denen einer Tschechisch können musste, wählten wir begrenzte Bereiche aus, die im Leben der Stadt von zentraler Bedeutung waren: den neuen tschechisch-vietnamesischen Markt im Zentrum der Stadt, die Einkaufsstraße, die neue politische Partei »Herz für Jablonec«, zwei Kirchengemeinden, die Bruderunität und die katholische Kirche, die Heimarbeiter der Glasindustrie in dem kleinen Dorf Masada in der Umgebung der Stadt, den deutschen Kulturverein Wilhelm Leutelt und den Umgang der städtischen Verwaltung mit der Roma Minderheit. 

ISBN: 3-901505-06-7
Verlag: IFK