Nach dem Leben. Eine Kunstgeschichte des Verfalls
In den 1960er-Jahren experimentieren Künstler*innen weltweit mit den Gestaltungsmöglichkeiten von materiellen Verfallsprozessen. Martha Minujin lässt die Oberflächen ihrer Gemälde austrocknen und abbröckeln, Dieter Roth fertigt Skulpturen aus schimmelnden Küchenabfällen und Gordon Matta-Clark beimpft Werke mit Hefepilzen. Das Projekt untersucht sowohl die kunsthistorischen Referenzen dieser Experimente als auch die Spuren zeitgenössischer Diskurse: Die atomare Bedrohung versieht künstlerische Verfallsprozesse mit einer prophetischen oder therapeutischen Wirkung, die kapitalistische Wegwerfkultur lässt haltbare Bildwerke unzeitgemäß erscheinen, und die Systemökologie schafft eine neue Sensibilität für verzehrende Wechselbeziehungen. Diese Arbeit am Verfall ist nicht nur von historischem Interesse, sondern erhält im Licht heutiger Debatten über nicht-menschliche agency, über Fungi und Fermentation als Momente des Symbiozäns und den emotiven Umgang mit einer verkümmernden Welt eine neue Brisanz.
Yorick Josua Berta studierte Kunst- und Bildgeschichte, Russistik und Philosophie in Berlin, Frankfurt/Oder, Moskau und Canterbury. Während dem Studium arbeitete er als studentische Hilfskraft im Exzellenz-Cluster der Humboldt-Universität Berlin »Bild Wissen Gestaltung« und der Gesellschaft für Modellforschung, sowie als Praktikant im Dresdner Hygiene-Museum und im Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris. 2020 begann er sein PhD-Studium und eine Stelle als Universitätsassistent bei Jasmin Mersmann an der Kunstuniversität Linz. Nebenbei ist er kuratorisch tätig (zuletzt mit einer Ausstellung zum ökologischen Blick auf Kunst im Traklhaus Salzburg) und schreibt Filmkritiken für das Berliner Magazin indiekino. Seit 2019 lebt er in Wien.
»Verwesen sein. Verfallskunst der 1960er Jahre zwischen absoluter Gegenwart und vollendeter Zukunft«, in: Yorick Josua Berta, Jasmin Mersmann, Romana Sammern (Hg.), Nachhaltig Vergänglich. Zur Materialität des Verfalls, Wien [forthcoming 2025].
»Stoffströme. Für eine ökologische Materialästhetik«, in: Yorick Josua Berta und Traklhaus Salzburg (Hg.), Stoffströme. Ressourcen, Abfälle und das Nachleben von Kunst, Salzburg 2023, S. 5–15.
»Aisthetischer Kapitalismus«, in: Contemporary Matters 2 (2020), S. 31–40.
»Sensorische Augmentation und taktile Erhabenheit«, in: Debates in Aesthetics 15 (2020), S. 11–31.
»Poet, Prophet, Antichrist. Die Rezeption Tolstois in Deutschland um 1900«, in: Lija Efimovna Buškanec (Hg.): Die Rezeption des Lebens und Werks Lev Tolstois. Anthologie akademisch-praktischer Arbeiten, Kazan 2017, S. 221–235.
Der Vortrag untersucht die künstlerische Arbeit am Verfall und ihre diskursiven Bezüge, mit besonderem Augenmerk auf dem Aspekt der Spurenlosigkeit: einer ökologischen Ethik, die sich in den 1960ern herausbildet und heute als Ideal der Abbaubarkeit die materielle Kultur innerhalb und außerhalb des Kunstfelds prägt.