05 Dezember 2019
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YOKO TAWADA

NICHT DIE TIEFE, SONDERN DIE OBERFLÄCHE ÜBERSETZEN

18:00
Foto: Yoko Tawada

Eine "Übersetzung" aus einer anderen Sprache, wie man sie heute kennt, gab es im japanischen Mittelalter nicht. Stattdessen gab es die Technik, chinesische Originaltexte verständlich zu machen, indem man die Reihenfolge der Schriftzeichen änderte, jedes Zeichen so aussprach, wie das entsprechende japanische Wort lautete, und bestimmte Partikel hinzufügte.

Das ist eine Operation der Textoberfläche und nicht eine Übertragung des beinhalteten Sinnes. Obwohl Chinesisch und Japanisch sprachlich überhaupt nicht verwandt sind, macht die Eigenschaft der Ideogramme dieses Verfahren möglich.

Die Oberflächenübersetzung als Kulturtechnik ist heute noch in vielen Bereichen zu entdecken. Mit ihrer Hilfe können zum Beispiel die Japaner, die kein Wort Deutsch können, Beethovens Neunte im Original mitsingen. Interessant sind die neuen Bedeutungen, die durch die Übersetzung zusätzlich entstehen. Ich lernte den Begriff der "Oberflächenübersetzung" durch die Arbeit des Wiener Dichters Ernst Jandl kennen und verwendete sie, nicht nur um neue Gedichte zu produzieren, sondern auch um die "eigenen" und somit fremden Kulturen zu interpretieren.

Yoko Tawada wurde 1960 in Tokio, Japan geboren. 1982 ging sie nach Hamburg und studierte Germanistik, promovierte dann in Zürich bei Sigrid Weigel; erste Buchveröffentlichung 1987. Sie schreibt ihre literarischen Texte (Roman, Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke und Essays) auf Deutsch und Japanisch. Zahlreiche Literaturpreise u. a. Akutagawa-Preis, Tanizaki-Preis, Kleist-Preis. Seit 2006 lebt sie in Berlin. Bis jetzt sind 23 Bücher in Deutschland und 29 Bücher in Japan erschienen.

Neueste Publikationen: Sendbo-o-te. Roman, aus dem Japanischen von Peter Pörtner, Tübingen 2018; Ein Balkonplatz für flüchtige Abende (Prosagedicht),Tübingen 2016; akzentfrei. Literarische Essays, Tübingen 2016.

 

 

In Kooperation mit aka, Arbeitskreis Kulturanalyse

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