A Nonconscious Turn? Zur Emergenz nichtbewusster Zonen als Kopplung humaner und nonhumaner Agency
Die rasche Entwicklung und die umfassende Vernetzung digitaler Medientechnologien machen eine Analyse für diese Begriffe notwendig, die das komplexe Ineinandergreifen von technischen Implementierungen, politischen Operationalisierungen und subjektiv-sozialen Prozessen erfassen können. Um dies zu gewährleisten, sind Theorie-Ansätze notwendig, die die Relationalität von humaner und nonhumaner agency in den Vordergrund rücken und von Intra-Aktionen ausgehen, die durch digital-affektive Kopplungen nichtbewusste Zonen emergieren lassen. In diesen verbinden sich biologische, kognitive und technische Prozesse, die die Dimension eines Nichtbewusstseins nahelegen. Mit dem Begriff eines affektiv-digitalen Nichtbewussten als Zone derartiger Kopplungen möchte ich vor dem Hintergrund historischer und aktueller Theorie-Diskurse einen neuen Blick auf die digitalen Beziehungen von Mensch und Maschine stimulieren. Mithilfe der Bezeichnung Nichtbewusstes (im Unterschied zum Unbewussten) möchte ich dabei den Versuch unternehmen, die Emergenz von Zonen der Verbindung, der Trennung und Dislokation zwischen 1. Mensch und Maschine, 2. zwischen Menschen und Umgebungen und 3. zwischen Umgebungen und Infrastrukturen zu untersuchen, die sowohl als neuer Interventionsraum für digitale Manipulationsstrategien gesehen werden müssen als auch als neue human-nonhumane (oft auch als more-than-human bezeichnete) (Handlungs-)Felder.
Marie-Luise Angerer ist Professorin für Medientheorie/Medienwissenschaft an der Universität Potsdam im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft (gem. mit der FH Potsdam), geschäftsführende Direktorin des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM) in Potsdam sowie Sprecherin des Forschungskollegs Sensing. Zum Wissen sensibler Medien (gefördert durch die VolkswagenStiftung).
„Intensive Milieus – komplexe, relationale und offene Kopplungen“, in: Beate Ochsner, Sybilla Nikolow, Robert Stock (Hg.): Affizierungs- und Teilhabeprozesse zwischen Organismen und Maschinen, Wiesbaden 2020, S. 173–190; Affektökologie. Intensive Milieus und zufällige Begegnungen, Lüneburg 2017 (engl. Ecology of Affect. Intensive Milieus and Contingent Encounters, Lüneburg 2017); Begehren nach dem Affekt, Zürich, Berlin 2007 (engl. Desire After Affect, London, New York 2014).
Der Begriff des affektiven Nichtbewussten verfolgt eine doppelte Bewegung: ein „Einholen“ und „Anschließen“. Nicht „Entzug“ und „Mangel“ (wie im Falle des psychoanalytischen Unbewussten), sondern „Kopplung“: eine Intervention digitaler Technologien in die Sphäre des somatischen/organischen Empfindens und gleichzeitig ein Anschließen/Anschmiegen des Organischen an medientechnologisch aufgerüstete Umgebungen.