09 Mai 2016
  • Lecture
IFK

CRITICAL BIOMASS – ODER DIE HISTORISCHE DYNAMIK VON „LEBENDMASSE“

Massen evozieren Utopien und Schreckensszenarien: Um 1900 galten Menschenmengen als Hoffnungsträger sozialer Reformen und zugleich als anarchische Bedrohung. Der biologische Begriff „Biomasse“ aus den 1920er-Jahren transportiert diesen Umschlagpunkt zwischen Kontrolle und Eigendynamik. Welche Geschichte hat dieses Konzept?

 

Biomasse ist stummes, quantifizierbares Reservoir und potenzielle, dynamische Energie in einem. Diesen doppelten Charakter trägt auch die vermutlich erste Nennung des Begriffs durch den deutschen Zoologen Reinhard Demoll im Jahre 1927, als er über die biologische Produktivität von Teichen nachdachte. Er definierte Biomasse als momenthafte Bestandsaufnahme von Lebendmasse, die in einen Kreislauf eingebunden ist, der durch einseitige Eingriffe gestört werden kann. Damit warf das Konzept Biomasse immer auch Fragen der optimalen Regulierung auf und evozierte gleichzeitig Ideen vom Erreichen der kritischen Masse, wonach das System in einen unkontrollierten Zustand gerät: Der „Aufstand der Massen“ könnte die politische Ordnung torpedieren, die „Algen-Pest“ Ökosysteme ersticken, die „Populationsbombe“ einen Planeten vernichten. In ihrem Vortrag analysiert Ariane Tanner Kippeffekte von Massen in Bewegung in der Ökologie, dem politischen Diskurs und der industriellen Produktion rund um die 1920er-Jahre.

 

Ariane Tanner ist Historikerin aus Zürich. Ihre Themenschwerpunkte sind Oral History (Lizentiat Universität Zürich), die Mathematisierung von ökologischen Phänomenen (Dr. sc. ETH Zürich) und die Geschichte der Planktonforschung bzw. der kulturellen Bedeutung von „Biomasse“ (aktuelles Projekt). Seit Herbst 2015 ist sie assoziierte Wissenschafterin am Collegium Helveticum Zürich und derzeit IFK_Research Fellow.

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